Trinitatis – Johannes 3,1-8
Die Nacht. Das ist die Zeit, in der wir zur Ruhe kommen und schlafen, aber auch die Zeit der Geheimnisse und des Schweigens. Die Zeit der Empfindsamkeit und der Nähe. Das sind die Stunden, in denen zu Wort kommt, was der Tag oft verdeckt: Zweifel, Traurigkeit und Sehnsucht.
„Wie ist die Welt so stille/ und in der Dämmrung Hülle/ so traurig und so hold“.
So heißt es in dem schönen Lied: „Der Mond ist aufgegangen.“
In dieser Dämmerung Hülle sind wir besonders empfänglich für Gesten des Verständnisses, der Zärtlichkeit und des Trostes. Wir sind empfänglich für Gespräche im Gasthaus, unter Freunden oder von Bettnachbar zu Bettnachbar im Krankenhaus.
Die Nacht. Das sind schließlich die Stunden, in denen sich nach der Hitze des Tages alles zusammenzufügen scheint: Gutes und Böses, Heil und Unheil, Leben und Tod.
Wir wissen nicht, warum Nikodemus, dieser Mann aus der Führungsschicht Jerusalems, gerade in der Nacht zu Jesus kam. Vielleicht weil er Angst um sich haben musste, oder weil er die Atmosphäre nächtlicher Gespräche zu schätzen wusste.
Wir spüren sehr wohl, dass er mit großen Themen gekommen ist, mit Fragen nach dem Sinn des Lebens, mit Fragen nach dem woher und dem wohin und wie man ein völlig neues Leben anfangen kann – Fragen, die wir uns zuweilen auch stellen.
„Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er auch wiederum in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden?“ Das ist die Frage, mit der er, Nikodemus, zu Jesus gekommen ist.
Ja, ist das denn überhaupt möglich?
Nikodemus ist Gelehrter genug um zu wissen, dass das nicht geht. Die Zeit, das Leben lässt sich nicht umkehren. Kein Mensch, sagen auch die Fachleute, kann hinter sein gelebtes Leben zurück. Jeder Mensch legt sich im Laufe seines Lebens fest: durch Geschehnisse seiner Kindheit, durch Grundeinstellungen in Schule und Berufswahl, Partnerschaft, Freundeskreis usw.
Aber wenn das so ist, dass sowieso alles festgelegt ist oder festgelegt wird im Laufe unseres Lebens, dann ist die Frage, ob sich da noch etwas ändern kann, ob wir uns noch ändern können, oder für immer so bleiben müssen wie wir sind. Ist da wirklich kein Potenzial mehr zur Veränderung?
Doch, sagt Jesus zu Nikodemus: „Es sei denn, dass jemand wiedergeboren werde aus Wasser und Geist“.
Zeit seines Lebens und Wirkens hat Jesus sich genau gegen dieses Festgelegtsein gewehrt. Man kann und soll jederzeit sein Leben überdenken und erneuern. Den Kurs verändern. Wir müssen nicht so bleiben wie wir sind. Das Leben fordert, ja zwingt uns geradezu, flexibel zu sein, uns zu ändern – hin zu mehr Frieden, hin zu mehr Menschlichkeit und Umgang miteinander in einer ständig sich rasant verändernden Welt.
Sein Leben zu ändern, dazu ist es nie zu spät. Auch da dürfen wir auf ihn, auf Jesus schauen, der selbst in der schwersten Stunde seines Lebens, als er am Kreuz hing und im Begriff war zu sterben, seinen Peinigern vergeben konnte: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“
Dass es eine Rückkehr geben kann, neue Aufbrüche und neues Leben, das sagt Jesus zu Nikodemus. Dafür ist es nie zu spät.
Und das können wir selbst auf vielfältige Art bei uns entdecken. Denn viele Anfänge sind durchaus mit einer Geburt vergleichbar. Z.B. der Abschied von den Eltern und der Beginn des Berufslebens, die ersten Jahre der Ehe und der Übergang in den Ruhestand. Wer die Zeiten einer schweren Erkrankung hinter sich hat, weiß, was Neuanfang bedeutet. „Ich bin wie neugeboren“, sagen wir, wenn wir es überstanden haben und wider Erwarten wieder gesund geworden sind, oder einen schweren Unfall überlebt haben, bei dem es, menschlich gesehen, keine Hoffnung mehr gab. Wir sind bewahrt worden. Das Leben konnte neu beginnen, wie neugeboren.
„Es sei, dass jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen“, sagt Jesus zu Nikodemus.
Ob Nikodemus eine Neugeburt erlebt hat? Eindeutig ist es nicht. Allerdings hat ihn diese Sache nicht mehr losgelassen. Das nächtliche Gespräch hat etwas in ihm ausgelöst. Im Hohen Rat wird Nikodemus zum vorsichtigen Verteidiger Jesu und auch bei seiner Grablegung ist er dabei. 100 Pfund Myrrhe mit Aloe gemischt stiftet er für die Einbalsamierung Jesu. Das wirkt wie ein öffentliches Bekenntnis zu einem unschuldig Hingerichteten.
Wir halten noch einmal fest: Neues Leben kann Gott allein schenken. Wir können es nicht machen. Leben ist ein Geschenk. Neues Leben erstrecht.
Alles ist Geschenk, wenn wir recht hinschauen: Unsere Erde, auf der wir leben dürfen, sein Geschenk an uns, uns zur Pflege und Fürsorge anvertraut. Der Sonnenschein und der Regen, das helle Grün und die bunten Blumen, die Tiere, Vögel und Insekten. Unsere Familie, unsere Freunde, dass wir ein gutes Auskommen haben und gesund sind, alles ist ein Geschenk Gottes, für das wir dankbar sein sollten.
Angesichts der Fülle der Probleme, vor denen die Menschheit steht, Klimawandel, Pandemien, Ernährung der immer stetig wachsenden Weltbevölkerung, Konflikte und Gewalt, Migration, um nur die wichtigsten zu nennen, können wir Gott nur um seinen Beistand bitten, den Beistand des Heiligen Geistes, den schöpferischen Atem Gottes, dass wir ihn immer wieder neu empfangen. So kann neues Leben, Geburt aus Wasser und Geist, geschehen, gelingen. Wir können darum bitten aus seiner Inspiration heraus den Mut und die Initiative für heute und morgen zu finden. Dazu helfe uns Gott.
Amen