Predigt am 5.7.2020 mit Bildkarte "Schiefer Turm von Pisa", von Pastor Horst Seivert

Mon, 06 Jul 2020 11:22:09 +0000 von Horst Seivert

 „Bitte nicht gerade rücken“ - Predigt zum schiefen Turm von Pisa zu 1. Kor.1,18-25 i.A.

Waren Sie schon mal in Pisa? Der schiefe Turm in dieser Stadt ist geradezu sprichwörtlich. Den meisten ist er vermutlich ein Begriff und ich glaube, fast jeder Mensch hat eine Vorstellung von diesem schiefen Turm, ob er ihn nun selber gesehen hat oder nicht.

Mit dieser Karte halten Sie ihn nun in den Händen. Also ein Bild davon. Eigentlich ist das ein sehr schöner Turm, filigran fast, in den vielen Bögen. Und mit kunstvollen Fenstern unten und dann ganz oben nochmal. Ein Schmuckstück für die Stadt sollte er werden.

Im Jahre 1173 hat man angefangen ihn zu bauen, als freistehenden Glockenturm. Bis zum dritten Stockwerk war man gekommen – dann senkte das Bauwerk sich ab. Was tun? Lehmiger Morast und Sand waren im Untergrund des Turms. Sie gaben nach, verformten sich. Und jetzt? Wird der Turm ganz einstürzen? Soll man weiter bauen?

Erst mal ließ man  100 Jahre verstreichen – der Turm stand immer noch. Also doch weiter bauen. 1372 war er dann fertig – nach fast 200 Jahren bauen und warten – immer abwechselnd.

Ich vermute mal, als das Bauwerk fertig war, war es längst niemandem mehr peinlich, dass es anfangs „verrutscht“ war. Da war das bestimmt schon ein Markenzeichen. Einen geraden Turm haben viele. Aber einen schiefen hat nur Pisa. Über 600 Jahre später wurde der Turm von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt, heute steht der Turm immer noch. Und ist beliebter denn je.

Warum ist das so?  Ich glaube, weil  es uns zeigt, wie  schön es sein kann, wenn etwas nicht ganz perfekt ist. Und das tröstet uns ein wenig und macht uns Mut angesichts all dessen, was bei uns alles manchmal auch schief läuft und nicht so perfekt ist.

Mich jedenfalls tröstet das, wenn ich auf mich selbst schaue und auf das, was nicht so gut läuft in meinem Leben. Dabei fällt mir der Spruch ein, dass Gott auch auf schiefen und krummen Linien gerade schreiben kann.  Mich tröstet, gerade auch wenn ich in die Bibel schaue, dass Gott an seinen Menschenkindern festhält, trotz Schwächen, trotz Schuld, die sich auf sie auf sich laden. Ein paar Beispiele: Die Brüder Josefs, von denen wir in der Lesung vorhin hörten, haben Angst,  Josef könnte sich nun an ihnen rächen für das, was sie ihm angetan haben,  also dass sie ihn erst  töten wollten, dann aber als Sklaven  nach Ägypten verkauften. Doch Josef sagt ihnen, dass Gott nicht so ist: „Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen. So habt keine Angst.“  Und er redete freundlich mit ihnen, heißt es abschließend.

Ein zweites Beispiel: Kain hat seinen Bruder Abel erschlagen, aber Gott lässt ihn dennoch nicht fallen. 

Und Jesus? Er hat sich Zeit seines Lebens besonders  zu denen hinzugezogen gefühlt, deren Leben eher schief war.  Zu den Steuerbetrügern, Prostituierten und den Unzulänglichen der Gesellschaft.

Wie sollte er dann ich auch mich und meine Unzulänglichkeiten, meine Schiefheiten  mit all dem Verrutschten in meinem Leben lieben?

So ist Gott. Seine Liebe gilt allen, nicht nur den Starken, den Perfekten, sondern auch den Schwachen, denen, die einen Makel haben.

„Bitte nicht gerade rücken!“ ist auf der Karte zu lesen. Gerade das Schiefe macht den Turm so berühmt. Dass er schief ist, aber doch nicht einstürzt. Er steht und bleibt schief. Und das ist gut so. Vor ein paar Jahren wurde am Fundament ein wenig nachgearbeitet. Man kann also ruhig unten vorbei gehen, er wird nicht einstürzen.

Das macht mir Mut für mein Leben. Ich muss nicht alles gerade rücken in meinem Leben, auch das Schiefe und Krumme gehört zu mir und macht mich zu dem, der ich bin, ein Mensch eben mit Ecken und Kanten, mit Schiefen und Geraden. Mal nicht gerade rücken und korrigieren und alles  erklären wollen. Einfach stehen lassen.

„Die Botschaft vom Kreuz erscheint denen, die verloren gehen, als eine Dummheit. Aber die, die gerettet werden, erfahren sie als Kraft Gottes, als Weisheit“, schreibt Paulus im 1. Korintherbrief.

In diesen  Worten von Paulus  hören wir, dass Gottes Weisheit gerade im Kreuz liegt,  im Scheitern könnte man auch sagen.  Der Sohn Gottes stirbt, er scheitert, er unterliegt. Was Menschen sich vorstellen, was sie von einem Gott erwarten, hier wird es radikal durchkreuzt. Jesus kommt nicht mit Macht daher, sondern mit Schwachheit, mit Ohnmacht. („ Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ ) Und gerade darin ist er  der, der alles verändert. Die Welt sieht nur Torheit. Der Glaube erkennt im Kreuz die tiefe Weisheit Gottes.

Der schiefe Turm von Pisa: Wir freuen uns an ihm, genau so wie er ist. Schief eben. Und vielleicht stellen wir uns vor, wie die Erbauer des Turms damals mit Ideen gespielt haben, was denn nun aus dem schiefen, halbfertigen Turm noch zu machen ist. Ihn nicht abzureißen und nicht gerade zu rücken hat sich als weise erwiesen.

Amen
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