Silvester 2024 zu Jesaja 51,4-6
„Alles fließt.“ Das ist einer der ältesten philosophischen Gedanken. Dem griechischen Philosophen Heraklit um 500 vor Christus wird dieser Satz zugeschrieben. Er besagt, dass nichts auf der Welt Bestand hat. Alles ist einem beständigen Wandel unterzogen.
An einem solchen Tag wie heute würden wir gerne die Zeit etwas anhalten und uns fragen: Was bleibt? Bevor wir das neue Jahr begrüßen, ist diese Stunde Anlass für einen Blick zurück auf das, was gewesen ist.
Seit Wochen gibt es im Fernsehen, Radio und in den Zeitungen Jahresrückblicke. Herausragende Vorkommnisse werden zusammengetragen. Es wird an politische Ereignisse erinnert, an Naturkatastrophen oder an Begebenheiten von Prominenten und Menschen, die im Lichte des öffentlichen Interesses stehen.
Ich bin manchmal überrascht, was in einem Jahr alles geschehen ist. Vieles hatte ich bereits vergessen. Ein Ereignis jagt das andere. Nichts bleibt, wie es war. Alles verändert sich, alles ist im Fluss. Der Philosoph hat recht. „Alles fließt.“
Ob etwas so sein wird, wie wir es erhoffen und erwarten, können wir nicht wissen. Weil alles in Bewegung ist, ist auch unsere Zukunft ungewiss.
An solchen Tagen wie heute, die daran erinnern, dass wir im Leben immer auf der Schwelle zwischen Altem und Neuem, zwischen Gestern und Morgen stehen, wird uns das immer wieder – auch schmerzlich – bewusst.
In der biblischen Tradition begegnet uns diese Erfahrung vom Volk Israel auf der Wanderschaft. Ständig sind die Menschen unterwegs. Abraham macht sich auf den Weg an den Ort, an dem er mit seiner Familie leben kann. Seine Nachfahren Isaak und Jakob waren ebenfalls auf der Wanderschaft. Über Josef, einen der Söhne Jakobs, kommt das Volk Israel nach Ägypten, weil sie dort das Notwendige für ihr tägliches Leben finden. Und dann, nach jahrhundertelanger Fronarbeit (Sklavenarbeit) begibt sich das Volk erneut auf die Wanderschaft zurück in die Heimat, in das gelobte Land – immer unter Gottes Führung, heißt es da. Immer zwischen Hoffen und Bangen, zwischen Altem und Neuem, zwischen Gestern und Morgen, doch im Vertrauen auf Gott.
Ob im Bild vom Fluss, der ständig fließt und sich verändert, oder in den biblischen Erzählungen von Menschen, die in Bewegung sind, immer kommt zum Ausdruck, dass wir auf der Schwelle zwischen Gestern und Morgen sind und nicht wissen können, was der nächste Tag, ja was das nächste Jahr bringen wird. Das kann einen beunruhigen. Gegen diese Unruhe setzt der Prophet Jesaja großartige Worte von kaum fassbarer Bedeutung und Tiefe:
„Merke auf mich, mein Volk, hört mich, meine Leute! Denn Weisung wird von mir ausgehen, und mein Recht will ich gar bald zum Licht der Völker machen. Denn meine Gerechtigkeit ist nahe, mein Heil tritt hervor, und meine Arme werden die Völker richten. Die Inseln harren auf mich und warten auf meinen Arm. Hebt eure Augen auf gen Himmel und schaut unten auf die Erde! Denn der Himmel wird wie ein Rauch vergehen und die Erde wie ein Kleid zerfallen, und die darauf wohnen, werden wie Mücken dahinsterben. Aber mein Heil bleibt ewiglich, und meine Gerechtigkeit wird nicht zerbrechen“.
Es sind dies Worte von zeitloser, ewiger Schönheit. Gottes Recht wird zum Licht der Völker, Gottes Gerechtigkeit wird nie zerbrechen; Gottes Arme werden die Völker richten. Aber auch, dass Himmel und Erde nicht bleiben werden, wie sie sind, sondern vergehen, und auch dass wir Menschen sterblich sind.
Etwas fremd stehen diese Worte da, etwas entfernt von unserem Leben, fast so, als würde man sagen: Zu schön, um wahr zu sein. Doch jeder dieser Sätze hat einen tiefen, über Zeit und Raum stehenden, fast überirdischen Klang.
Zu schön, um wahr zu sein – für das neue Jahr? Vielleicht. Dennoch möchte ich an ihnen festhalten. Denn, was bleibt im Strom, im Fluss der Zeit? In einer Welt, in der nichts mehr ist, wie es war, in der sich vieles so schnell verändert? Was trägt durch die Veränderungen des Lebens hindurch?
Es ist die Hoffnung darauf, dass die Worte des Propheten gültig bleiben. Gottes Heil tritt hervor. Und das Vertrauen darauf, dass es einen gibt, von dem ich mich getragen weiß, aufgehoben und gehalten. Einer, der sagt. Bei mir kannst du alles lassen, dalassen, was dich belastet und dir das Leben schwer macht.
„Ich möcht´ dass einer mit mir geht, der´s Leben kennt, der mich versteht, der mich zu allen Zeiten kann geleiten…Sie nennen ihn den Herren Christ, der durch den Tod gegangen ist, er will durch Leid und Freuden mich geleiten, ich möcht´ dass er auch mit mir geht.“
So heißt es in einem Lied. Wir werden es gleich nachher singen. Das ist ein schöner Wunsch für das neue Jahr!
Wie kein anderer hat Jesus Christus die Worte des Propheten Jesaja mit Leben gefüllt. Er hat den Menschen gezeigt und gesagt, was von ewiger Bedeutung ist, was Bestand hat und im Fluss der Zeit bestehen wird.
Jesaja kündigt es an, Christus ruft alle zu sich. Er schenkt allen, auch uns Trost und die Gewissheit. Damit die Herzen fest und nicht hart werden und unsere Seelen Ruhe finden können. Dazu helfe uns Gott.
Amen