Predigt im Gottesdienst am 6.2. 2022 zum Thema "Verschwörungsmythen/theorien und wie gehen wir damit um", Pastor Horst Seivert

Sun, 06 Feb 2022 11:13:52 +0000 von Horst Seivert

6.02. 2022 – Predigt Verschwörungstheorien (Lesung: Johannes 14,1-6)

Johannes 14,6: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.“

Liebe Gemeinde!

Nach wie vor ringen wir in unserer Gesellschaft um einen Weg aus der Pandemie. Viele Interessen müssen gegeneinander abgewogen werden, damit bestimmte Berufsgruppen und Wirtschaftszweige nicht auf der Strecke bleiben. Es ist ein schwieriges Ringen, das uns sicherlich auch in den nächsten Monaten noch einiges abverlangen wird.

Damit einher geht die Frage: Wem sollen wir eigentlich glauben?  Es gibt viele widersprüchliche Meinungen und Empfehlungen. Hinzu kommen die über die sozialen Medien verbreiteten sogenannten „alternativen Wahrheiten“, die sogar die Existenz des Virus leugnen. Verschwörungstheorien haben Hochkonjunktur. Die häufigsten lauten: „Das Coronavirus ist eine geheime Waffe, um uns zu unterdrücken“, oder „Impfen macht krank“, oder „Dahinter steckt Bill Gates, der uns einen Chip einsetzen möchte.“

Verschwörungstheorien finden vor allem im Internet ihre Verbreitung. Sie sind düster, wittern einen Weltuntergang und wir alle sind nur Opfer und unfrei.

In unserem Land herrscht Meinungsfreiheit und es gibt ein Recht auf Demonstrationen. Das gilt auch für die Anhänger von Verschwörungstheorien. Auch sie dürfen mit ihren Ansichten auf die Straße gehen. Aber ihre Theorien bauen ein Feindbild auf, das uns bedroht und früher oder später bekämpft, wenn nicht sogar vernichtet werden muss. Sie entzweien und bringen Unfrieden.

Verschwörungstheorien hat es schon immer gegeben. Die häufigsten lauten z.B.  den Holocaust, also die systematische Vernichtung der Juden hat es nie gegeben, oder: die erste Mondlandung am 21.Juli 1969 hat angeblich nicht stattgefunden. Die Landung wurde in Wirklichkeit in einem amerikanischen Filmstudio in Hollywood vorgetäuscht.     Oder: Prinzessin Diana war im Jahre 1997 nicht das Opfer eines zufälligen Autounfalls, sondern der Geheimdienst habe ihren Unfall inszeniert, damit sie Enthüllungen über die königliche Familie nicht veröffentlichen könnte.  

Und  natürlich die Verschwörungstheorien, die gerade jetzt rund um das Coronavirus kursieren.      


Was sind Verschwörungstheorien und warum gibt es sie?

Verschwörungstheorien sind Versuche, die Welt zu erklären. Sie tauchen auf in Zeiten von Umbrüchen, in schwierigen Situationen, wenn das Leben der Menschen in großem Umfang verändert wird. So wie jetzt – in der Pandemie.  Die Anhänger von solchen Theorien neigen dazu, komplexe Zusammenhänge stark zu vereinfachten. Sie haben dazu ein tiefes Misstrauen gegenüber anderen Menschen, etwa weil diese einer anderen Ethnie angehören oder anderer Meinung sind. Bedrohlich wird es dann, wenn der Wunsch, sich abzugrenzen und überlegen zu fühlen, in Aggression und haltlose Verdächtigungen mündet.

                                

Jesus ist kein Verschwörungstheoretiker. Ihm geht es immer um die Wahrheit. Wir hören seine Worte, die uns im Johannesevangelium überliefert sind: „Jesus Christus spricht: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater, denn durch mich.“ Durch ihn und seine Worte können wir lernen, wie wir mit diesem Thema umgehen können.

Zunächst weist Jesus auf das Bild des Weges hin.  Einen Weg zu gehen, bedeutet noch nicht angekommen zu sein, noch nicht alle Antworten zu kennen, noch nicht alle Wahrheit zu haben. Was dieses Virus betrifft, welches uns schon zwei Jahre in Atem hält, sind wir tatsächlich noch auf dem Weg und wir wissen noch lange nicht alles darüber. Als Christinnen und Christen zu leben bedeutet, sich der Vorläufigkeit des eigenen Handels, Wollens und Wissens bewusst zu sein. Es heißt außerdem miteinander im Gespräch und auf dem Weg zu bleiben, offen für die Wahrheit, offen für Gott, der will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.

Was heißt das nun konkret? Ich möchte das an einem frei erfundenen Beispiel veranschaulichen, das aber durchaus realistisch ist, und das bestimmt vielen Menschen in den vergangenen zwei Jahren in ganz ähnlicher Weise widerfahren ist: Eine Frau, nennen wir sie Frau Meier, lebt in der Nachbarschaft. Sie ist eine typische „junge Alte“, Witwe, bodenständig und wohnt seit vielen Jahren in ihrer Doppelhaushälfte. Ihr ganzer Stolz ist das Blumen- und Kräuterbeet vor dem Haus. Bei allerlei Problemen weiß sie stets guten Rat, und sie hat großes Vertrauen in die Heilkräfte von Pflanzen und Edelsteinen. Für Politik hat sie sich nie interessiert. Aber sie war dagegen, als die Masernimpfung zur Pflicht gemacht wurde. Als dann Corona kam, hat sie sich gründlich informiert und denen geglaubt, auf die sie sich auch bisher verlassen hatte. Jetzt ist sie davon überzeugt, dass Corona nicht gefährlicher als eine Grippe ist, dass die Nebenwirkungen der Corona-Impfungen von der Pharmaindustrie und den Medien verschleiert werden, dass die Eliten hinter allem stecken und dass die Bevölkerung heimlich dezimiert werden soll. Da sie viel in den sozialen Medien unterwegs ist, verschickt sie oft Meldungen mit einschlägigem Inhalt an ihre Bekannten. Denen wiederum geht das allmählich auf die Nerven und viele meiden sie inzwischen. Andere grüßen oder bleiben auf ein Schwätzchen stehen, aber das Thema Corona wird gemieden. 

Wie könnte ich nun als Christ damit umgehen?

Erst einmal geht es um meine Haltung, noch gar nicht um große Wahrheiten. Vielleicht gelingt es mir, Frau Meier vor allem anderen als Menschen zu sehen, der von Gott geschaffen wurde und geliebt wird. Aus dieser Haltung heraus nehme ich mir vor, zunächst einmal zu hören, was hinter dem steckt, was sie sagt: Was beschäftigt sie? Welche Sorgen und Nöte treiben sie um? Welche Hoffnungen und Sehnsüchte verbergen sich hinter ihren Ansichten? Um welche Gefühle geht es? Fühlt sie sich einsam? Vermisst sie ihre Freiheit? Ist sie verbittert und worüber? Ich muss nicht widersprechen und muss es nicht widerlegen. Gefühle haben ihr eigenes Recht.

Wenn sie zuhören will, dann erzähle ich, wie ich die Dinge sehe. Dabei kann es helfen, meinen Standpunkt einfach immer wieder zu wiederholen. Warum ich nicht an eine Verschwörung glaube. Weil ich einen globalen Komplott schlicht und ergreifend für extrem unwahrscheinlich halte in einer Welt, in der so viele wichtige Probleme – Hunger, Klimaschutz, Wasserversorgung, Migration – seit Jahrzehnten kaum zu regeln sind. Ich muss meinen eigenen Standpunkt nicht beweisen, nur davon erzählen – je öfter, desto besser.

Und dann spreche ich vielleicht noch davon, wie mir mein Glaube in dieser schwierigen Situation hilft, dass er mich tröstet, mir Halt gibt. Und dass mir der Tod Jesu am Kreuz zeigt, dass es immer in einer Tragödie endet, wenn man andere zum Sündenbock macht. Vielleicht muss ich das noch nicht einmal ausdrücklich sagen. Wahrscheinlich reicht es, wenn ich die entsprechende Haltung habe.

Der Schlüssel ist: Nur wenn ich in einer Beziehung zu einem Menschen bleibe, habe ich auf lange Sicht die Möglichkeit, diesen Menschen immer wieder zu meiner Sicht auf die Welt einzuladen. Manchmal ist es dafür klüger, das Thema Wahrheit eine Zeit lang auszuklammern. Und manchmal muss man die Wahrheit auch in den Mittelpunkt stellen.

Leicht ist es nicht, mit Menschen im Gespräch zu bleiben, die eine ganz andere Meinung haben. Aber als Christen glauben wir an die Verheißung, die uns Jesus in Joh. 8,31f mitgegeben hat: „Wenn ihr bleiben werdet an meinem Wort, so seid ihr wahrhaftig meine Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“  Amen
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