Predigt im Gottesdienst am Karfreitag (29.03.24), Pastor Horst Seivert

Fri, 29 Mar 2024 08:00:41 +0000 von Horst Seivert

Karfreitag 2024 

Ev. Joh. 19,16-30, Epistel:  2. Kor. 5,19-21


Liebe Gemeinde!

„Ein Vater und sein Sohn lebten friedlich und in völliger Eintracht. Sie arbeiteten miteinander und teilten gemeinsam, was sie ernteten. Doch eines Tages wies der Vater den Sohn zurecht. Dieser hatte eine der Grundregeln ihres Zusammenlebens verletzt und den Vater betrogen. Daraufhin zog sich der Sohn zurück in sein Haus auf der anderen Seite des Baches. Die Kluft zwischen ihnen wurde mit der Zeit immer größer. Und zum Zeichen dafür, dass der Sohn mit dem Vater nichts mehr zu tun haben wollte, fing er an, eine Mauer vor sein Haus zu bauen. Er wollte seinem Vater zeigen, dass er auch ohne ihn leben könne.

Eines Tages klopfte jemand an der Tür des Sohnes. Es war ein Mann, der Arbeit suchte. „Kann ich vielleicht einige Reparaturen bei Ihnen durchführen?” „Ich hätte schon Arbeit für dich”, antwortete der Sohn. „Dort, auf der anderen Seite des Baches steht das Haus meines Vaters. Ich möchte ihn nicht mehr sehen müssen. Bau die Mauer, die ich begonnen habe, weiter. Bau sie so hoch, dass ich meinen Vater nicht mehr sehen muss.“

„Ich habe verstanden“, antwortete der Mann. Danach ging der Sohn für eine Woche auf Reisen. Als er wieder nach Hause kam, war der Mann mit seiner Arbeit fertig. Doch welch eine Überraschung für den Sohn! Was er sah, hatte er nicht erwartet. Anstatt die Mauer weiter zu bauen hatte der Mann aus den Steinen der Mauer eine schöne Brücke über den Bach gebaut.

Auf der Brücke stand der Vater, breitete die Arme aus rief seinen Sohn zu sich. Überrascht von all dem, was da gerade geschah, ging der Sohn auf seinen Vater zu und ließ sich umarmen.
 Während Vater und Sohn Versöhnung feierten, räumte der Mann sein Werkzeug auf und schickte sich an, weiterzuziehen.  „Nein, bleib doch bei uns, denn hier ist Arbeit für dich”, sagten sie ihm.
 Der Mann aber antwortete: „Gerne würde ich bei euch bleiben, aber ich habe noch anderswo viele Brücken zu   bauen …”

Liebe Gemeinde, es ist eine Karfreitagsgeschichte. Eine, die der Apostel Paulus einmal in folgende Worte gepackt hat: „Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.“ (2. Kor. 5, 19)

„Gott war in Christus.“ Auch und gerade am Karfreitag. Gott selbst ist da am Werk. Er ist nicht Regisseur des Ganzen und schaut zu. Nein, er ist mittendrin. Gott selber gibt sich hin in die Schrecken des Todes. Er hält sie aus und hält sie durch.

Am Karfreitag begegnen sich Gott und Welt. Im Kreuz kommt zusammen, was sonst getrennt war. Die Mauer der Schuld, die wir Menschen immer und immer wieder hochziehen – so wie der junge Mann aus der Geschichte – trennt uns.

Das ist die grausame Wirkung von Schuld. Das erleben wir ja immer wieder, wenn wir aneinander schuldig werden: Schuld entzweit, solange sie zwischen uns steht. Schuld entzweit Mensch von Mensch, aber eben auch Mensch von Gott.

Und deswegen ist es so etwas Großes, etwas mit Worten kaum zu fassendes, wenn Paulus schreibt: „Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu.“
Gott verzichtet auf etwas, was wir Menschen nur zu gerne tun. Einander die Dinge aufrechnen. Miteinander abrechnen. Dem anderen die Schuld zurechnen.

Auch in den vielen Krisen unserer Zeit passiert das ja immer wieder. Es werden Schuldige gesucht – und auch schnell gefunden. Mal sind es die Politiker, mal irgendwelche geheimen Organisationen, die Nachbarn, der Partner oder wer auch immer. Schuldige finden wir ganz schnell, wenn es darauf ankommt. 

Wenn wir uns das bewusst machen und dann diese Worte hören: Aber Gott „rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu“, erst dann wird uns vielleicht bewusst, welch ganz andere Welt sich da am Karfreitag für uns auftut!

„Gott rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.“ Das geschah am Kreuz auf Golgatha. Gott rechnet mit seinen Menschen nicht ab. Er baut an der Mauer der Schuld nicht weiter. Sondern lässt stattdessen eine Brücke zwischen sich und der Welt, zwischen sich und uns bauen. Ja, eigentlich baut er sie selber.

Das Kreuz, es ist nur auf den ersten Blick ein Symbol des Todes. Wer aber versteht, dass Gott selber hier am Werk ist, für den wird es das, was es für Paulus war: Der Ort der Versöhnung. Oder, um es mit der Geschichte zu sagen: Ein Brückenschlag zwischen Gott und Mensch. Und dort wartet er auf uns, ja auf die ganze Welt, die Arme ausgebreitet wie Christus am Kreuz. Er ruft seine Welt zur Versöhnung. Sind wir bereit dazu?

Amen.
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