Liebe Gemeinde!
„Du bist ein Gott, der mich sieht.“ So lautet das Bibelwort zu der Jahreslosung 2023.
Es ist eine große Sehnsucht unter uns, gesehen zu sein, wahrgenommen zu werden.
Wir Menschen sind nun mal Gemeinschaftswesen und somit aufeinander bezogen und auch dann, wenn wir lieber allein sind, gibt es diese Sehnsucht, gesehen und angesehen zu werden.
Viele junge Menschen, die mit ihrem Mobiltelephon unterwegs sind, schicken ständig Bilder von sich selbst in die Welt über die sozialen Medien nach dem Motto: Seht doch, das bin ich, nehmt mich wahr, seht mich an.
Und auch viele von uns, die diese Medien nicht nutzen, möchten wahrgenommen werden. Denn: Gesehen zu werden, ist wichtig, es hat etwas mit Wertschätzung zu tun.
Ein Beispiel: Du hast etwas Gutes getan, du hast Geld gespendet, oder du hast dich engagiert in der Kirchengemeinde, oder im Verein, an deinem Arbeitsplatz. Du hast viel Herzblut in ein Projekt gesteckt, Zeit und Arbeit, und nun möchtest Du, dass das gesehen und gewürdigt wird.
Das ist doch verständlich, nicht wahr? Gesehen, beachtet, bedankt und gewürdigt zu werden, ist wichtig. Das tun wir ja heute mit diesem Gottesdienst und dem sich anschließenden Empfang auch.
„Du bist ein Gott, der mich sieht.“
Dieser Satz kann aber auch missbraucht werden. Im Sinne von Kontrolle. „Der liebe Gott sieht alles“. Doch damit macht man einen großen Fehler. Gott ist keiner, der uns kontrolliert, sondern einer, der uns liebevoll anschaut.
Wir möchten lieber nicht kontrolliert werden. Wir haben Angst vor dem gläsernen Menschen, über den man in der letzten Zeit immer mehr spricht. Es heißt, wir alle sind mehr oder weniger heute zu solchen Menschen geworden, über die die Gesellschaft alles weiß, sogar private und intime Dinge. Das alles dank der modernen Medien, des Internets, das nichts vergisst, in dem wir unsere Spuren hinterlassen, Dinge von uns preisgeben, die am besten keiner wissen sollte.
Das macht Angst. Angst, dass es keine Privatsphäre mehr gibt, wo jeder alles vom anderen weiß. Mich erinnert das an George Orwells Buch „1984“, welches er bereits 1948, nach dem verheerenden 2.Weltkrieg geschrieben hat. Er spricht darin von dem großen Bruder, der alles weiß und jeden kontrolliert und in der Hand hat. Ein erschreckendes Szenario.
„Du bist ein Gott, der mich sieht.“ Die Jahreslosung meint aber nicht dieses, sondern ein ganz anderes gesehen werden. Es meint: Du, Gott, siehst mich. Du kennst mich mit allem, was mich bewegt und ausmacht. Du kennst meine Stärken und Schwächen.
Dieser Vers stammt aus der alttestamentlichen Geschichte von Sara, Abraham und Hagar. Wir erinnern uns: Weil Sara nicht schwanger wird, zeugt Abraham ein Kind mit Saras Magd Hagar. (Das war zu jener Zeit legitim). Es kommt zum Konflikt zwischen den beiden Frauen, weswegen Hagar in die Wüste flieht. Dort findet sie der Engel des Herrn und es kommt zu folgendem Dialog: (1. Mose 16,8-13)
Engel: „Hagar, Saras Magd, wo kommst du her und wo willst du hin?“
Hagar: „Ich bin meiner Herrin Sara davongelaufen.“
Engel: „Kehre wieder zu deiner Herrin zurück und demütige dich unter ihre Hand. Ich will deine Nachkommen mehren, dass sie der großen Menge wegen nicht gezählt werden können. Siehe, du bist schwanger geworden und wirst einen Sohn gebären, dessen Namen sollst du Ismael nennen; denn der Herr hat dein Elend gehört. Hagar: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“
Hagar: „Ich bin meiner Herrin Sara davongelaufen.“
Engel: „Kehre wieder zu deiner Herrin zurück und demütige dich unter ihre Hand. Ich will deine Nachkommen mehren, dass sie der großen Menge wegen nicht gezählt werden können. Siehe, du bist schwanger geworden und wirst einen Sohn gebären, dessen Namen sollst du Ismael nennen; denn der Herr hat dein Elend gehört. Hagar: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“
In dieser Geschichte erfährt Hagar die direkte und ungeteilte Aufmerksamkeit Gottes. Der verlangt zwar etwas Unzumutbares von ihr, nämlich in die schwierige Dreieckbeziehung zurückzugehen, spricht ihr aber dafür Mut zu. Ermutigt und in der Gewissheit angesehen zu werden und nicht allein zu bleiben auf ihrem weiteren Lebensweg, kehrt sie zurück zu Abraham und Sara.
„Du bist ein Gott, der mich sieht“. Das gilt nicht nur für Hagar, sondern auch für uns. Gott ist einer, der nicht die Augen vor uns verschließt, sondern er ist ein Gott, der uns sieht, dem wir wichtig sind, der uns wertschätzt. Gott ist kein fernes und unnahbares Wesen, sondern einer, der sich jedem einzelnen Menschen zuwendet. Ein Mensch, der sich von Gott gesehen fühlt, von ihm gefunden wird, wie Hagar fühlt sich wertvoll, geachtet. Sein Leben erfährt eine Kehrtwende, er wird zu einem anderen Menschen.
Wir haben zu Beginn des Gottesdienstes den Psalm 139 gebetet: „Denn du hast meine Nieren bereitet und hast mich gebildet im Mutterleibe. Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke…Es war dir mein Gebein nicht verborgen, als ich im Verborgenen gemacht wurde…deine Augen sahen mich, als ich noch nicht bereitet war…“
Mir tun diese Worte einfach nur gut. Sie sagen: Ich bin gewollt. Ich bin einzigartig. Und das macht etwas mit mir. Wenn ich unzufrieden bin mit mir, wenn ich mich selbst nicht verstehe, dann sagen mir diese Worte: Gott kennt dich durch und durch, er hat dich schon immer gekannt, er hat dich erdacht, gebildet, wunderbar gemacht. Wenn ich mich frage, wie ich den morgigen Tag durchstehen soll, dann spricht mir der Psalm zu: Alle Tage deines Lebens waren schon aufgeschrieben im Buch des Lebens, noch bevor du das Licht der Welt erblickt hast. Für mich strahlen die Worte des 139. Psalms Geborgenheit aus. Sie vermitteln mir Zuversicht. Sie stärken mich.
„Deine Augen sahen mich …“ So wie Gott damals Hagar angesehen hat in ihrer Not, so sieht er auch uns mit allem, was zu uns dazu gehört. Jeder Mensch braucht dieses Ansehen, angesehen werden. Wahrgenommen und beachtet zu werden, ist eines der Grundbedürfnisse des Menschen. Aber auch wir sollen einander sehen, aufeinander achten.
Ist das nicht eine wunderbare Losung für den Beginn dieses neuen Jahres, von dem wir noch so wenig wissen? Bei allen Problemen mit Krieg, Klimawandel, Teuerung, Krankheit, Tod… weiß ich, ich bin Gott nicht egal. Er sieht mich, er weiß um meine Fragen, Sorgen, Ängste und Nöte, er liebt mich, so wie ich bin… er will, dass ich ihm ganz vertraue.
Gott ist ein Gott, der mich sieht. Er schaut uns voller Liebe an. Das ist seine frohmachende Botschaft an uns heute und allezeit. Amen