Kantate 2024 zu Offenbarung des Johannes 15,2-4
Liebe Gemeinde!
Heute am Sonntag Kantate geht es um das Singen, um die Musik. Singen ist eine von jenen Gaben, die Gott den allermeisten Menschen schenkt. Auch denen, die fest behaupten, nicht singen zu können, hat Gott eine Stimme gegeben, mit der sie ihn auf ihre Weise preisen können.
Seit es Menschen gibt, gibt es Gesang und Lieder. Man singt, wenn man fröhlich ist, oder traurig, man singt bei der Arbeit, zu Hause, eigentlich überall. Man hat gesungen, wenn man in den Krieg zog und wenn man wieder kam. Man sang, um sich die Zeit und die Angst zu vertreiben. Es gibt kein Land auf der Welt ohne Nationalhymne. Und welch ein großes Gefühl, wenn bei einem Sieg im Fußballstadion die eigene Nationalhymne erklingt. Man sang und singt bis heute, wenn einem das Herz übergeht.
Aber es ist uns nicht immer zum Singen zumute. Es gibt Situationen, da haben wir einen Kloß im Hals: Krankheit, Trauer, Schmerzen… Und doch: Manchmal kann singen genau in solchen Situationen helfen. Beim Singen bewegt sich der Atem, wird regelmäßig und die Töne, die die Stimme hervorbringt, erfüllen unsern ganzen Körper und bringen ihn in Stimmung. Und durch unsere Stimme verändert sich die Stimmung. Es wird uns leichter ums Herz. Vielleicht nicht sofort und nicht bei jedem.
In der Musiktherapie jedenfalls wird die heilende Wirkung der Musik schon lange angewandt. Und wer selbst singt, im Chor oder auch für sich allein, hat schon am eigenen Leibe erfahren, wie gut das Singen tut.
Die Bibel ist voller Lieder, die bekanntesten sprechen wir jeden Sonntag im Gottesdienst, die Psalmen, so auch heute. „Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder!“ Die Psalmen sind Lieder. Wir wissen, dass König David viele solche Lieder gesungen hat, oder sie sich hat vorsingen lassen.
Es gehört zu den ganz großen Wundern und Geheimnissen, dass eigentlich immer gesungen werden kann. Mit Melodien und der eigenen Stimme erhebt man sich ein wenig über sich hinaus, vor allem dann, wenn die Tage schwer zu ertragen sind. Ein Lied macht alles leichter. Mit Musik geht alles besser, sagt der Volksmund sehr weise. Und der Philosoph Friedrich Nietzsche, der ein sehr schweres Leben hatte bis hin zu einer zeitweise völligen Verdunkelung seiner Sinne, hat es kurz und bündig so beschrieben: „Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum.“
Der Predigttext heute ist auch ein Lied. Es ist das Lied der Überwinder, derer also, die alles Schwere, alles Leid hinter sich gelassen haben. Ein Lied aus einer Zeit, in der den Menschen alles andere als zu Singen zumute war. Die noch jungen Christengemeinden um das Jahr 90 nach Christus wurden von den römischen Herrschern brutal verfolgt, unterdrückt und getötet. Zu jubeln hatten sie also überhaupt keinen Anlass. Und dennoch sangen die Menschen ihre Lieder des Glaubens und der Hoffnung. Dass sie eines Tages alles Schwere mit Gottes Hilfe überwinden werden:
„Ich sah etwas, und es war wie ein gläsernes Meer, mit Feuer vermengt, und die den Sieg behalten hatten über das Tier und sein Bild und über die Zahl seines Namens, die standen an dem gläsernen Meer und hatten Gottes Harfe und sagen das Lied des Mose, des Knechtes Gottes, und das Lied des Lammes: Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr allmächtiger Gott! Gerecht und wahrhaftig sind deine Wege, du König der Völker. Wer sollte dich, Herr, nicht fürchten und deinen Namen nicht preisen? Denn du allein bist heilig. Ja, alle Völker werden kommen und anbeten vor dir...“ (Offenb. 15,2-4)
Johannes sieht und hört einen großen Trost, der nicht da ist, noch nicht da ist, aber kommen wird. In diesem Lied wird die Befreiung der Gedemütigten und Verfolgten bereits vorweggenommen, vorweggesungen, und ich bin sicher, damit konnte man sein Leben leichter bestehen.
Genauso wie das die Schwarzen taten, die aus Afrika zu Abertausenden nach Amerika geholt wurden, um dort auf den riesigen Plantagen als Sklaven zu arbeiten und während ihrer schweren Arbeit ihre Gospels sangen, ihre Lieder, die von Befreiung, von einer neuen Zukunft sprachen, davon, dass Gott dieses Wunder vollbringen wird und kann.
Und so ermutigt der Seher Johannes auch uns, zu singen und Gott zu loben. Was uns von ihm und den Menschen damals unterscheidet? Wir leben in Freiheit und Wohlstand (immer noch), keiner von uns wird verfolgt und gedemütigt. Wir haben eine Heimat. Wir müssen nicht um unser Leben fürchten. Wozu also Gott loben? Nun, gerade darum. Weil das alles nicht selbstverständlich ist. Es könnte doch auch anders sein.
Das Loben, Preisen und Singen verändern unsere Haltung und unseren Blick. Wir blicken nicht mehr so viel auf uns selbst und sind nicht mehr allein in uns selbst verkrümmt. Das ist das Geheimnis des Singens. Es macht dankbar und es blickt auf. Und damit der Blick hinauf nicht leer bleibt, gibt uns der gefangene Johannes auf der Insel Patmos diese Worte in unsere Herzen, die wir hören können, vielleicht sprechen und singen können.
„Groß und wunderbar…“
Singen wir also. Wann immer wir die Gelegenheit dazu haben. Es tut uns gut. Nicht nur hier im Gottesdienst, auch sonst. Singen wir, wenn wir uns freuen und dankbar sind, aber singen wir auch dann, wenn wir traurig sind, oder wenn Schweres über uns kommt. Singen wir an gegen den Schrecken. Gegen den Krieg in der Ukraine und den im Nahen Osten, oder gegen die Zerstörung der Umwelt. Davon wir der Schrecken nicht aufhören, aber womöglich wird er erträglicher. Amen