Predigt am Pfingstsonntag um 10 Uhr in der Holtorfer Kirche, Pastor Seivert

Sat, 22 May 2021 15:19:07 +0000 von Horst Seivert

Pfingstsonntag 2021 - 1. Mose 11,1-9

Schon immer haben sich die Menschen gefragt, wie es kommt, dass Menschen sich streiten und aus dem Weg gehen. Warum gibt es so viele verschiedene Sprachen auf der Welt und warum ist es so schwer, sich selbst und andere zu verstehen?

Die Israeliten haben dafür eine Erklärung gefunden, die sie in eine Geschichte gekleidet haben. Es ist die Geschichte vom Turmbau zu Babel. Im ersten Buch Mose ist sie aufgeschrieben und ich erlaube mir, sie für uns frei zu übersetzen:

In alter Zeit gab es in der Welt nur eine Sprache. Alle Menschen verstanden sich, auch die Kinder spielten friedlich miteinander. Eines Tages sprach einer zum anderen: Kommt, wir wollen eine Stadt bauen und mittendrin einen großen Turm. Er soll bis an die Wolken reichen. Damit wollen wir zeigen, wie großartig und stark wir sind. Alle sollen es sehen. Auch Gott soll es sehen und sich vor uns fürchten. Und sie machten sich an Werk. Stein für Stein trugen sie zusammen und setzten sie aufeinander. Das war eine schwere Arbeit, ganz krumm wurde ihr Rücken davon. Bald war der erste Stock fertig. Mit jedem Stockwerk wurde der Turm höher. Jeder wollte als erster oben stehen, dem Himmel am nächsten. Einer schubste den anderen. Da brach Streit aus. „Ich will oben stehen“, sagte einer. „Ich habe am meisten gearbeitet“, der andere, „ich bin am größten“, sagte der dritte. Es kam zu einem fürchterlichen Durcheinander. Am Ende prügelte einer den anderen. Jeder wollte oben stehen und den besten Platz haben. Jeder sah nur noch auf sich, die anderen waren unwichtig geworden. Keiner hörte dem anderen mehr zu. Sie stritten so fürchterlich miteinander, dass sie nicht mehr zusammenarbeiten konnten. Sie bewarfen sich mit Steinen, mit denen sie eigentlich weiterbauen sollten. Da blieb den Menschen nichts anderes übrig, als auseinander zu gehen. Einige gingen dahin, andere dorthin. Über die ganze Erde verteilten sie sich und keiner wollte mehr mit dem anderen etwas zu tun haben. Zurück blieb ein Chaos, ein Wirrwarr. Darum nannte man die Stadt Babel, das heißt Wirrwarr, weil sich die Menschen hier zerstritten hatten.“

Damit ist diese Geschichte zu Ende – vorerst einmal. Ein trauriges Ende.

(Musik)

Menschen verstehen sich nicht mehr, Völker sind zerstritten. Einer will größer sein als der andere.

Diese Erzählung gehört zur Weltliteratur. Sie ist nicht allein eine Geschichte aus den Anfängen der Zeit und der Geschichte Gottes mit den Menschen, sie ist zu einer Art Symbol geworden für den Hochmut von Menschen, ähnlich der Geschichte vom Untergang der Titanic. Ein Beispiel der Hybris, der Überheblichkeit der Menschen, die dachten, ihr Schiff sei allein aufgrund seiner Größe und der neuesten Technik für die damalige Zeit, unsinkbar.  Unter den Hunderten von Werftarbeitern, die am Bau des Schiffes beteiligt waren, hatten einige auch solche Worte an die Schiffswände geschrieben: „Nicht einmal Gott kann es versenken,“ oder „Weder die Erde noch der Himmel können dich verschlingen.“  Ein Angestellter der Titanic, der diese Aufschriften gesehen hatte, schrieb an seine Verwandten in Dublin einen Brief, den diese später wie eine Reliquie aufbewahrten. Darin heißt es: „Ich bin überzeugt, dass das Schiff wegen einer solchen Blasphemie, die seine Wände bedecken, nicht in Amerika eintreffen wird.“

Wie diese Geschichte ausgegangen ist, wissen wir nur allzu gut. Die Titanic sank, 1500 Menschen fanden ihren Tod im kalten Atlantik.

Die Schlussfolgerung daraus lautet: Gott bestraft den Hochmut der Menschen, die eine Grenze überschreiten, ihre Kräfte überschätzen und sich an Gottes Stelle setzen möchten. Wir sind Geschöpfe Gottes, wir dürfen nicht alles. Wir dürfen nicht Gott spielen.

Dies ist eine Geschichte, die sich immer wieder neu ereignet. Eine Geschichte nicht aus längst verflossenen Zeiten, sondern eine, die sich wiederholt und von bleibender Aktualität ist. Wir Menschen stehen immer in der Gefahr, uns zu überschätzen und uns an Stelle Gottes zu setzen. Das war schon immer so.                                                                                             

Adolf Hitler mit seinem tausendjährigen Reich und seinen überdimensionierten Palästen und Wahnvorstellungen: Nach sechs furchtbaren Jahren half auch der Satz auf den Koppelschlössern der Soldaten „Gott mit uns“ nicht mehr, im Gegenteil: der Spuk war vorbei. Allerdings mit furchtbaren Schäden.

Oder denken wir an den Größenwahnsinn manch osteuropäischer Diktatoren, die sich wie Gott feiern ließen: Spätestens 1989 war auch der vorbei. Gott lässt sich nicht spotten. Er duldet eine solche Hybris, eine solche Überheblichkeit nicht.

In der Geschichte vom Turmbau zu Babel steigt Gott herunter und verwirrt die Sprache der Menschen. Daraufhin können sie sich nicht mehr verstehen und verständigen und müssen ihr größenwahnsinniges Projekt aufgeben.

Aber diese Geschichte und unsere traurigen Geschichten sind nicht alles- Gott sei Dank! Es gibt auch andere Erfahrungen: Dass Menschen sich verstehen, sich respektieren, miteinander reden und arbeiten können in einem guten und freundlichen Klima, dass sie einander helfen und tragen bei dem, was das Leben schwer macht. Wo das geschieht, ereignet sich Pfingsten, breitet sich der Geist des Friedens aus, der Geist Gottes. Dann bleibt die alte Pfingstgeschichte keine alte Bibelgeschichte, sondern wird zu einer spannenden Lebensgeschichte.

Heute an Pfingsten danken wir Gott für das Geschenk seines Heiligen Geistes. Und wir erinnern uns an das Pfingstwunder vor 2000 Jahren, als die Jünger Jesu und alle in Jerusalem Versammelten die Ausgießung des Heiligen Geistes erfahren haben. Plötzlich waren alle Schranken der Verständigung aufgehoben. Und staunend bekannten die Menschen: „Wir hören sie in unseren Sprachen die großen Taten Gottes verkünden.“

Wenn Menschen zu Freunden werden ist das wie damals an jenem ersten Pfingstfest. Plötzlich verstehen sie sich. Plötzlich sehen sie sich in einem anderen Licht. Plötzlich sprechen sie dieselbe Sprache und sehen sich mit den Augen Gottes an.

Wo Menschen sich verstehen, da entstehen Brücken zueinander, Brücken, die von einem zum anderen führen, Brücken, die tragen. Das macht Gottes Geist.  Amen
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