1. Joh. 1,1-4
„Was von Anfang an war, was wir gesehen haben mit unseren Augen, was wir betrachtet haben und unsere Händen betastet haben vom Wort des Lebens – und das Leben ist erschienen und wir haben gesehen und bezeugen und verkündigen das Leben…und das schreiben wir, damit unsere Freude vollkommen sei.“
Wenn ein Kind geboren wird, dann ist das bei uns meistens ein Grund zur Freude. Ein neugeborenes Kind bringt Hoffnung in unser Leben. Das gilt für jedes Kind. Und es gilt in besonderer Weise für Jesus, dessen Geburt wir auch in dieser Weihnachtszeit wieder feiern. Er ist das Kind, in dem Gott zu uns gekommen ist, ein Kind, in dem Gott uns das Leben bringt, wie es in dem Predigttext heute heißt. Leben, damit unsere Freude vollkommen sei.
Deshalb erwarten wir normalerweise, dass auf einem Weihnachtsbild die Geburt dieses Kindes ganz im Mittelpunkt steht. Auf der Bildkarte, die Sie erhalten haben: Kreuz und Krippe von Beate Heinen – ich möchte Sie Ihnen schenken – ist das ganz anders. Die Geburtsszene ist an die untere linke Ecke gerückt. Unser Blick geht auch unwillkürlich in diese Richtung. Wir sehen, dass Maria und Josef tief andächtig in den Anblick des Kindes versunken sind.
Schweigend sitzen sie da und betrachten das Kind, als gäbe es sonst nichts auf der Welt. Darin gleichen sie allen Eltern. Maria, in einem schönen gewirkten blauen Mantel gehüllt, berührt mit der linken Hand ganz vorsichtig die Hand des Kindes, die sich zu ihr hinstreckt.
Tiefe Ruhe geht von ihrer Gestalt aus. Sie ist von einer stillen Freude erfüllt. Das, was sie vor der Geburt erlebt hat, die Ablehnung und Feindseligkeit, sie scheinen sie nicht mehr zu bedrücken. Jetzt ist für sie als Mutter nur das Kind wichtig.
Josef sitzt Maria gegenüber. Er hat seine Arme übereinander gelegt und schützt sich im wärmenden Mantel gegen die Kälte. Auf vielen Bildern der Kunst erscheint er als Randfigur.
Auch in unserem Bild hat die Künstlerin ihn an den linken Bildrand platziert. Obwohl er ganz nahe bei dem Kind sitzt, bleibt er doch in Distanz zu ihm. Das zeigen die verschränkten Arme, die auch die Aufgabe haben, wegen der Kälte, den Mantel enger an den Körper zu ziehen.
Nachdenklich ist Josefs Blick auf das Kind gerichtet. Was ihm wohl alles durch den Kopf geht?! Man hat den Eindruck, so ganz kommt er nicht klar mit dem, was geschehen ist. Vielleicht beschäftigt ihn auch die Frage: Was wird aus dem Kind? Darin unterscheidet er sich nicht von den Eltern heute. Was wird aus unseren Kindern? Das würden Eltern gerne schon bei der Geburt wissen, um Vorsorge treffen zu können.
In unseren Weihnachtskrippen befindet sich die Heilige Familie meist in einem Stall. Die Künstlerin hat auf unserem Bild aber die Geburt Christi in eine dunkle Felsenhöhe hineinverlegt. Es ist der Ort, in dem kein Mensch länger bleiben möchte.
Dies unterstreicht einmal mehr den Satz aus der Weihnachtsgeschichte „Und sie hatten keinen Raum in der Herberge“.
Es fällt auf, dass das Kind nicht in der üblichen Krippe liegt, wie wir es sonst gewohnt sind. Der Platz, in dem das Kind sich befindet ist ein Futtertrog, gestaltet wie ein Sarkophag, wie eine Ruhestätte eines Toten. Das Kind ist in einen Sarg gebettet. Wir wissen, was dem Kind bevorsteht. Die Künstlerin hat die ganze Lebensgeschichte des Kindes in aller Knappheit dargestellt. Die drei Kreuze im Hintergrund auf dem eisigen, schneebedeckten Berg zeigen an, was für ein Schicksal das Kind auf sich nehmen muss.
Von Anfang an ist dieses Leben zum Sterben verurteilt, wie jedes Leben auch. Aber dieses Sterben wird anders sein als sonst bei uns Menschen. Es wird ein Sterben in der Einsamkeit des Kreuzes sein.
Das ist ungewöhnlich an diesem Weihnachtsbild; dass der Beginn des Lebens und das Ende zusammen dargestellt werden. Dieses Bild führt uns hinaus über die Idylle und den Lichtglanz des Weihnachtsfestes. Es zeigt uns die bittere Wirklichkeit des Lebens Jesu, das mit Weihnachten begonnen hat. Es zeigt uns den Alltag, der auf Jesus wartet.
Auch uns erwartet nach den Feiertagen wieder der Alltag. Und zu diesem Alltag gehören nicht nur die schönen, festlichen Stunden, sondern auch Erfahrungen des Leides, Not, Angst, Tod…
Gott hat seinen Sohn Jesus Christus zu uns gesandt, um uns gerade in unserem Alltag mit seinen Nöten und Sorgen nahe zu sein. Es gibt keine Angst, keine Not, keiner Sorge, die er nicht kennen würde.
Das ist im Grunde genommen unbegreiflich und doch ist es so wie der Verfasser des 1. Johannesbriefes schreibt. Es ist das Leben, das mit der Geburt dieses Kindes erschienen ist. Ein Leben mit allen seinen Seiten und Facetten: Die Darstellung auf unserem Bild gibt es gut wieder: da sind blühende Bäume und Blumen zu sehen, aber auch kahle, blätterlose Bäume, Felsen und schneebedeckte kalte Berge, Leben mit all seinen Höhen und Tiefen, so wie sich im Grunde genommen auch unser Leben darstellt.
Darüber können wir nur staunen. Gott geht ein in eine Lebensgeschichte, die wie bei jedem Menschenleben einen Anfang und ein Ende hat.
Die Geburtsstunde Jesu in Bethlehem und die Todesstunde auf Golgatha gehören zusammen. Es sind dies die Brennpunkte der Heilsgeschichte Gottes. Nicht Weihnachten allein, sondern der ganze Lebensweg Jesu, von der Krippe bis zum Kreuz und weiter bis zum Ostermorgen, angedeutet in dem zarten Morgenrot und den hellen Himmel auf unserer Karte, ist der Grund der großen Freude, von der die Engel in der Weihnachtsgeschichte künden.
Erst der Blick auf das Ende Jesu kann mir die Gewissheit schenken, dass ich auf den Wegen, die ich im Leben geführt werde, nicht allein bin, sondern dass er bei mir ist, so wie damals bei den Jüngern, die sich nach dem Tod mit all ihren Fragen und Ängsten auf dem Weg nach Emmaus befanden. Sie stehen auf unserem Bild sozusagen symbolhaft für uns auf der Mitte des Weges zwischen Krippe und Kreuz.
Das Leben, das hier erschienen ist in dem Kind in der Krippe, das ist Weihnachten. Weihnachten ist da, wo Gott seinen Weg auf dieser Erde beginnt, der ihn im Leiden führt hin zum Kreuz. Das Kreuz aber ist nicht das Ende, sondern der Beginn einer neuen Welt.
Unser Bild erinnert mich schließlich daran, Weihnachten ist der Ort, wo Himmel und Erde sich berühren. Wir könne sehen, wie die Höhle vom Abglanz des Lichtes Gottes erfüllt ist. Es fällt mit der Geburt des Kindes in diesen dunklen Ort hinein. „Das Licht scheint in die Finsternis“, heißt es im Jo.ev. Es scheint auch in dein und mein Leben. Amen