Predigt im Gottesdienst am vorletzten Sonntag im Kirchenjahr (13.11.2022), Pastor Horst Seivert

Sun, 13 Nov 2022 08:17:35 +0000 von Horst Seivert


Predigt zu Lukas 18,1-8 - das Gleichnis von der bittenden Witwe

1

Wir schauen hier auf eins der berühmtesten Gemälde des niederländischen Malers Vincent van Gogh. Vermutlich gehört es zu den bekanntesten Gemälden der Welt. Es heißt auch so, wie es aussieht: Sternennacht. 
 
Es ist tiefblaue Nacht mit leuchtendem Halbmond, abnehmend. Die Sterne sehen aus wie Lampions. Sie strahlen so hell wie Sonne und Mond. Ganz vorne eine dunkle Zypresse, dahinter ein Dorf mit der Kirche  im Tiefschlaf, eher schemenhaft zu erkennen.
 

2

Die Entstehung des Bildes, ein Jahr vor dem Tod des Malers, ist Forschern bekannt. Es wurde wohl nach einer früheren Bleistiftskizze gemalt – allerdings nicht vor Ort, sondern in der Nervenheilanstalt, in der sich van Gogh gerade befand. Er hatte sich dort selbst eingewiesen, weil er den Alltag nicht mehr bewältigte. Es heißt, Baum und Dorf auf dem Bild entsprächen etwa dem Blick aus van Goghs Krankenzimmer. Soweit das Wirkliche auf dem Bild.
 
Zugleich ist eine kräftige Portion Rausch auf dem Bild. Farbenrausch und innere Aufgewühltheit. So sieht sie ja nicht aus, eine Nacht mit Sternen. Die innere Aufgewühltheit des Malers überträgt sich in die Farben und ins Leuchten. Es ist kein ruhiger Abendhimmel zu sehen, sondern eine Art Explosion in Gelb – die wiederum das Blau kräftiger macht, als es in einer Sternennacht tatsächlich ist. 
 
Hier kämpft einer mit allem: mit sich, mit der Nacht, mit der Hoffnung. Dieser Kampf leuchtet auf dem Bild. Es ist Hoffnung und Bedrohung zugleich. Die Weltuntergangsstimmung des Malers überträgt er auf die Leinwand – und lässt zugleich auch erkennen, wie großartig die Schöpfung aus seiner Sicht sein kann.
 

3

Ein Jahr zuvor hatte van Gogh seinem geliebten Bruder Theo geschrieben: „Mit einem Bild möchte ich etwas Tröstliches sagen, so wie Musik tröstlich ist.“ Das ist van Gogh hier gelungen, finde ich. Zwar erkennt man immer noch das Aufgewühlte, zugleich aber empfindet man durch die berührenden Farben, dass sich der Himmel schützend über einen wölbt. Wir sind behütet. Es sind viele Schrecken in der Welt – es ist aber auch Schutz und Gnade um uns. 
 
Gerade heute am Volkstrauertag, an dem wir an die Gräuel der beiden Weltkriege denken und zu Ehren der getöteten Soldaten an unserem Ehrenmal einen Kranz niederlegen. 
Gerade heute, wo wieder ein brutaler Krieg in Europa tobt, der erneut so viele Opfer, so viel Leid mit sich bringt, und wir heute nicht wissen, wohin dieser Krieg noch führen wird. Ja, es sind viele Schrecken in dieser Welt, aber es ist auch Schutz und Gnade um uns herum. Gott sei Dank.
 
Van Gogh wusste sich immer behütet.  Und auch seine Weltuntergangsstimmung, aus der heraus er sich das Leben nahm, hatte nichts Gottloses. Er hatte Angst vor der Welt, nicht vor Gott. Über Gott schreibt er das, was er sein kurzes Leben lang machte: „Die beste Art, Gott kennenzulernen, ist, viele Dinge zu lieben.“ Solange sein Bruder Theo ihm helfen konnte, hielt Vincent der Welt stand. Erst als Theo selber in eine gewisse Not geriet, wurde van Goghs eigene Verzweiflung zu groß.
 

4

Der Welt standhalten – das ist unsere große Aufgabe. Manchmal ist sie spielerisch leicht zu bewältigen, diese Aufgabe. Manchmal tun wir uns unendlich schwer und neigen zur Verzweiflung, vor allem in Krisen- und Kriegszeiten. 
 
Vermutlich hat Jesus das alles gewusst, er war ja weder ein Schwärmer noch ein Träumer. Er stellt uns in dem denkwürdigen Gleichnis von der Witwe eine besondere Haltung vor: Lasst im Bitten nicht nach; bedrängt Gott wie die Witwe den Richter; macht Gott viel Mühe.
In dieser Frau begegnet uns ein Mensch, der sich weigert, sein Unrecht, das ihm geschieht, klaglos zu akzeptieren. Diese Frau ist eine Kämpferin, die sich nicht kleinlaut in ihr Schicksal fügt.
 
Der Volkstrauertag ist ein Tag, der zum Trauern und zum Klagen ist.
Wie viele Menschen klagen gerade gegenwärtig wieder in der Ukraine, aber auch an den vielen andern Kriegsschauplätzen dieser Welt: Frauen klagen und weinen um ihre gefallenen Männer. Da ist der Schrei der Mütter von den in den Krieg gezogenen, gefallenen Söhnen…
Auch in unserer Mitte sind Menschen, die verzweifelt sind und klagen. Wie lange geht das noch so weiter? Wann ist endlich wieder Friede in der Welt? Wann kommt endlich ei Welt, in der es nicht mehr nötig ist, Waffen herzustellen.  Ja, kann es überhaupt einen Frieden mit Waffen geben?
Gleichzeitig ist der Volkstrauertag auch ein Tag zum Beten und der Bitte. Um Frieden und Versöhnung in der ganzen Welt. Wir sollen darin nicht nachlassen.
 
Die Witwe im Gleichnis ist in Weltuntergangsstimmung.   
Sie leidet am Unrecht, das ihr widerfahren ist. Doch dem  entkommt sie durch Standhalten. Sie widersteht der Verzweiflung und drängt sich an Gott heran. Das ist der Anfang der Hilfe. 
 

5

Wir halten der Welt stand, indem wir uns festhalten an dem, der außerhalb der Welt ist. Glaube ist Standhalten; Glaube ist, Gott nicht von der Seite zu weichen, unter keinen Umständen. Van Gogh zweifelte an der Schöpfung und hielt sie manchmal für missraten. Er zweifelte aber nie am Schöpfer. 
 
Die Witwe klagt, aber sie hält stand.  
Das heißt: Es gibt Wege auch in großer Not. Wir können immer beten; wir können immer lieben; wir können uns immer die Liebe anderer gefallen lassen. 
 
Wenn Gott selbst zu schweigen scheint, spricht er in Gestalt der Liebe. 
Dazu helfe er uns. Amen
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