Kirchengemeinde St. Martin Holtorf

 "Und er sprach: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft 
und schläft und aufsteht, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst – er weiß nicht wie. 
Denn von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre. Wenn sie aber die Frucht gebracht hat, so schickt er alsbald die Sichel hin; denn die Ernte ist da." (Mk.4,26-29)

Liebe Gemeinde!

Kinder, was seid ihr groß geworden! 

Erinnern wir uns an jenen beliebten Spruch von Tante, Onkel, Oma oder Opa?

Natürlich war man gewachsen. Das war doch klar. Jeder wuchs und wurde größer. Allerdings merkte man das an sich selber auch nur in Abständen, wenn plötzlich die Schuhe anfingen zu drücken, die Ärmel des Anoraks zu kurz wurden oder die Hosenbeine...

 

In Abständen merkt man, wie man größer geworden ist, das Wachsen selbst geht unmerklich vonstatten. In Abständen stellt man fest, dass man älter geworden ist, dass Zeit vergangen ist. Eines Morgens beim Blick in den Spiegel vielleicht. Als ob man jahrelang nicht hingesehen hätte...

 

So ist das auch, wenn wir in die Natur schauen. Im Frühjahr; ganz plötzlich ist der braune Ackerboden von einem grünen Flaum überzogen. Keiner hat gesehen, wie es geschehen ist. Über Nacht strecken die Keime sich aus der Erde. Auch hier entzieht sich der Vorgang des Wachsens unserer Wahrnehmung.  Das Entscheidende bleibt unsichtbar, entzieht sich unseren Augen und geschieht doch.

Wollte man beim Wachsen helfen (nachhelfen), man würde nur stören. Machen kann man es nicht.

 

Eine Geschichte aus China erzählt: "Ein Mann hatte seinen kleinen Acker gut vorbereitet, gepflügt und gesät. Er wunderte sich nur nach ein paar Wochen, dass die Saat so langsam aufging. Bei seinem Nachbarn sah er schon kräftigen grünen Wuchs. Von Tag zu Tag wurde seine Geduld geringer. Er konnte vor Sorge nicht mehr schlafen. Schließlich hatte er eine wahnwitzige Idee. Er lief zu seinem Feld und begann, die kleinen, zarten Halme etwas in die Höhe zu ziehen. Das war natürlich eine mühsame Arbeit, aber schließlich war er fertig. Er traf unterwegs einen Nachbarn und sagte ihm, dass er seinem Korn beim Wachsen geholfen habe. Neugierig geworden, liefen sie zu seinem Feld und sahen alles zerstört und verwelkt. Und noch lange lachte man im Dorf über den Mann, der nicht warten konnte.“

Jesus stellt uns einen Menschen vor, der seinen Samen auf das Land sät und dann, anders als der Mann in der chinesischen Geschichte, wartet, Geduld hat. Er kann gelassen sein. Er kann sich schlafen legen und wieder aufstehen. Er weiß, die Saat geht von selbst auf. Sie braucht ihre Zeit.

Natürlich müssen die notwendigen Handgriffe gemacht werden. Das weiß Jesus. Das Unkraut muss gejätet werden, es muss gedüngt werden. Die Schädlinge müssen bekämpft werden. Es ist viel zu tun bis zur Ernte und auch danach werden die Hände nicht in den Schoss gelegt.

Der Landwirt muss seinen Hof pflegen und in Schuss halten, ebenso seine Geräte, seine Tiere und Maschinen. Für die Landwirte ist Urlaub oft ein Traum, den sie sich nur selten erlauben können.

Aber sich mehr als notwendig um die Saat unter der Erde zu kümmern, wäre geradezu kontraproduktiv. Ist die Saat erst mal ausgebracht, würde es alles zerstören, was im Dunkeln der Erde geschieht, wenn der Landwirt jeden zweiten Tag den Samen wieder ausgraben würde, um nachzusehen, ob er schon austreibt. Wer zu ungeduldig ist, zerstört mehr, als er zum Wachsen helfen kann. So viel Geduld ist nötig. Tage, Wochen oder gar Monate verrinnen, ehe etwas geschieht.

 

Übertragen auf unser Leben, heißt das: wir brauchen in vielen Dingen Geduld, bis etwas herangewachsen ist. Es ist gar nicht so einfach etwas aus der Hand zu geben und dann nur noch zu warten und zu beobachten. Das fällt uns schwer. Viele Menschen sind es gar nicht mehr gewohnt, zu warten. Alles muss sofort da sein.

 

Der Mensch im Gleichnis streut den Samen aus. Damit ist das seine getan. Von nun an wächst etwas, von selbst, automatisch, wie es im griechischen Urtext heißt. Die Saat geht auf unter Gottes Himmel.

 

Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen auf das Land wirft…Jesus gebraucht ein eingängiges und uns auch heute noch vertrautes Bild. 

Er sagt damit: So ist Gott am Werk. Aus Kleinem und Unscheinbarem lässt er wachsen. Und es ist ein langer Weg vom Säen bis zur Ernte. 

So ist es auch mit unserem Leben. Es ist immer ein langer Weg. Es braucht Zeit. Es braucht unsere Arbeit und Mühe, Wachsen und Reifen, Warten und Gedulden und geschehen lassen.                  

Manchmal spüren wir: Von nichts kommt nichts. Ich muss jetzt aktiv werden. Das ist die eine Erfahrung. Aber es kommt die andere Erfahrung dazu: Es geschieht einfach. Es wird etwas ganz von selbst. Es ist in meinem Leben etwas geworden und gewachsen und es liegt nicht an mir allein. Ich habe das nicht gemacht. Ich habe nichts dazu getan. Oder nichts dazu tun können. Und doch ist es gut geworden. Das Gleichnis ermutigt uns, das Nötige zu tun. Und es ermutigt uns, darauf zu vertrauen, dass Gott wirkt, auch wenn wir schlafen und ausruhen. Wenn wir nichts mehr tun können und uns dann manchmal auch unnütz vorkommen. Ich höre das oft sagen: Was kann ich jetzt noch groß tun? Das Gleichnis erinnert uns daran: Ich muss nicht alles schaffen. Ich darf Gott machen lassen.

 

So ist es mit Gottes Reich. Es ist mitten unter euch, sagt Jesus.

Um es zu sehen, zu erkennen, brauchen wir vor allem die Augen des Herzens. „Man sieht nur mit dem Herzen gut“, sagt der kleine Prinz in dem Büchlein mit gleichem Namen von A.de S. Exupery.

Dieses Reich Gottes, das aus Liebe, Hoffnung und Vertrauen besteht, wächst von alleine, aber es braucht Zeit. Glaube, Hoffnung und Liebe sind zarte Pflänzchen. Wer ihnen beim Wachsen nachhelfen will, der entwurzelt und zerstört nur. Geduld allein erlebt das Wunder des Wachsens. Das alles ist wie bei der Saat. Es geschieht nicht von heute auf morgen, es braucht Zeit und es braucht unsere Geduld. Das ist unsere einzige angemessene Haltung: Geduldiges Vertrauen, dass das in die Welt gekommene Wort Gottes seine Wirkung haben wird.

 

Wir Menschen sind doch so gerne die großen Macher, die alles können. Wir haben es uns zu sehr angewöhnt, auf unsere eigenen Kräfte und Fähigkeiten zu vertrauen. Es wäre stattdessen richtiger, ein wenig mehr unser Vertrauen darauf zu setzen, dass Gott seine Welt gut und richtig eingerichtet hat.

 

Ich möchte mich als Wegbereiter und Brückenbauer Jesu verstehen, der den Samen der Liebe in uns sät. Lassen wir diesen Samen in uns wachsen und zur Entfaltung kommen, geben wir ihm Raum  und ersticken wir die Saat nicht in den Alltäglichkeiten des Lebens.

 

Wenn sich in uns entfalten kann, was Gott in uns hineingelegt hat, dann wächst das Reich Gottes, allein, automatisch.  Wir können es staunend wahrnehmen und Gott dafür danken. Amen