Invokavit 2023
Lesungen: Hebr. 4,14-16, Matthäus 4,1-11
Lieder: 430, 136 (Freitöne) , 170 (Freitöne), 209, 595, 171
Liebe Gemeinde!
Woran denken Sie, wenn Sie das Wort „Versuchung“ hören?
Viele werden sich an den bekannten Werbespruch erinnern: „Milka, die zarteste Versuchung, seit es Schokolade gibt.“ Wahrscheinlich haben Sie auch die Melodie dazu im Ohr, sehen Bilder von einer schönen Landschaft und glücklichen, lila Kühen; und wenn Sie Schokolade mögen, dann läuft Ihnen vielleicht sogar das Wasser im Munde zusammen.
„Führe mich nicht in Versuchung“, sagen wir, wenn uns jemand ein zweites Stück Sahnetorte, oder ein drittes Glas Bier anbietet. Es gibt vielerlei Versuchungen, aber gerade Letztere, Alkohol, ist eine der größten und gefährlichen Versuchungen.
Das Wort „Versuchung“ ist ein uralter Begriff aus der Sprache des christlichen Glaubens. Aber das Wort an sich ist, ähnlich wie das Wort „Sünde“, ausgewandert in die Werbung, in die Welt und Alltagssprache, wie wir es gerade gesehen haben.
Versuchung: was ist damit im biblischen Sinne gemeint?
Schon am Anfang seiner Geschichte ist der Mensch einer Versuchung ausgesetzt. Da sind Mann und Frau im Garten Eden mit den Tieren, den Früchten und Bäumen – der Mensch im Einklang mit seiner Umwelt, mit Gott und mit sich selbst. Aber da ist auch eine von Gott gesetzte Grenze: der Baum, von dessen Früchten die Menschen nicht essen sollen. Die Versuchung wird in dieser Geschichte durch die Schlange eingeleitet. Sie stellt Gottes gute Absicht in Frage. Und der Mensch gibt der Versuchung nach, überschreitet die ihm von Gott gesetzte Grenze, und eine verhängnisvolle und langwierige Unheilsgeschichte nimmt ihren Lauf. Denn das Leben wird nun schmerzhaft, dornenreich und mühsam.
Eine zweite Geschichte:
Am Anfang seines Weges aus der Knechtschaft in Ägypten ins verheißene Land Kanaan wird das Volk Israel in der Wüste versucht, geprüft durch Durst, Hunger und Entbehrungen. Und von Mose, seinem Anführer, zurückgelassen am Fuß des Gottesberges. In vermeintlicher Gottverlassenheit können die Menschen der Versuchung nicht widerstehen, sich selbst einen Götzen, ein sichtbares Gottesbild anzufertigen. Und so gießen sie aus ihrem Goldschmuck ein goldenes Kalb.
Und die dritte Geschichte haben wir in der Lesung vorhin gehört:
Auch Jesus wird versucht. Dreimal wird er in der Wüste auf die Probe gestellt. Doch er bleibt standhaft und widersteht dem Versucher.
Versuchungen sind demnach keine Kleinigkeiten. Es geht dabei um Bewährung, um folgenreiche Entscheidungen. Menschen wird die Verantwortung zugesprochen, ja oder nein zu sagen, rechts oder links zu gehen und ihre Wahl zieht Gelingen oder Scheitern, Fortkommen oder Stillstand, Leben oder Tod mit sich.
Und das hört sich dann ganz anders an als die genießerische Leichtigkeit, in der die vielen Versuchungen der Werbung sich präsentieren.
„Wir haben einen Hohenpriester, der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde. Darum lasst uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der Zeit, wenn wir Hilfe nötig haben.“
So heißt es im Hebräerbrief, der anderen Lesung des heutigen Sonntages.
In all den Versuchungen, in die wir hineingeraten, haben wir einen, an den wir uns wenden können, der uns helfen kann, einen, den wir in der Not anrufen können.
Invokavit – das ist der Name dieses ersten Sonntages in der Passionszeit. Invokavit ist lateinisch und bedeutet: er ruft mich an. Das stammt aus Psalm 91: „Er ruft mich an in der Not, so will ich ihn erhören“.
„Wir haben einen Hohenpriester, der helfen kann, Jesus, den Sohn Gottes…“
Das haben schon viele Menschen erfahren. In vielerlei Anfechtungen und Versuchungen Gottes Hilfe in Anspruch genommen.
Eine der Bitten im Vaterunser lautet: „Und führe uns nicht in Versuchung“. Ich finde diese Bitte als ziemlich verwirrend, irritierend. Wie? Sollte Gott uns Menschen tatsächlich in Versuchung führen? Bei Jakobus lese ich: „Gott versucht keinen.“
Ist es trotzdem denkbar, dass Gott selbst uns Menschen prüft, auf die Probe stellt, um uns stärker zu machen? Denkbar ist es schon. Dann wären Versuchungen Gelegenheiten, an denen wir wachsen können.
Es gibt Theologen, die der Meinung sind, dass sich hier ein Fehler in die Übersetzung aus dem Aramäischen, bzw. Hebräischen hineingeschlichen habe: Demnach wäre richtiger zu übersetzen: „Bewahre uns Gott vor der Macht der Versuchung“. Oder „Führe uns, wenn wir in eine Versuchung geraten.“
Wir haben einen Hohepriester, Jesus, den Sohn Gottes, der mit unserem Erleben und Empfinden mitgeht, mitfühlt.
Einer also, der nicht teilnahmslos dasteht, sondern der mitfühlt, mitleidet mit uns. Gott kommt uns ganz nahe, menschlich. Und ich fühle mich aufgehoben und verstanden. Er weiß um unsere Lage. Es gibt nichts, was er nicht kennt. Keine Lebenssituation, in die wir hineingeraten, ist ihm fremd, keine Versuchung. Er weiß, was es bedeutet, Lebensangst zu haben. Am Kreuz erlebt und durchlebt er sie, die Angst und die Einsamkeit. Dieser Jesus versteht uns selbst dann noch, wenn wir an Gott irre werden.
„Lasst uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade“. Hinzutreten mit der Gewissheit, dass da einer ist, der mir zuhört, mich versteht. „Ich möcht, dass einer mit mir geht, der´s Leben kennt, der mich versteht“, heißt es in dem Lied, das wir vorhin gesungen haben.
Möge Gott uns die Kraft geben, den Versuchungen dieser Welt zu widerstehen, möge er uns tragen, wenn wir traurig und einsam sind oder zweifeln und möge er uns die Hoffnung stets am Leben halten, dass Neues entstehen und wachsen kann. Im Vertrauen zu ihm. Amen