Liebe Gemeinde!
„Alles hat seine Zeit!“
Diesen Satz kennen wir alle aus eigener Anschauung. Schon der Prediger Salomo wusste das vor mehr als 2000 Jahren: „Ein jegliches hat seine Zeit und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde; geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit, weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit, suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit, lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit...“
Wir können diese Reihe noch lange fortsetzen: beginnen hat seine Zeit, aufhören hat seine Zeit, beten hat seine Zeit, helfen hat seine Zeit, dienen hat seine Zeit, hören hat seine Zeit...
Damit sind wir bei dem Predigttext des heutigen Sonntages:
„Als sie aber weiterzogen, kam er, Jesus, in ein Dorf. Da war eine Frau mit Namen Marta, die nahm ihn auf. Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria; die setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede zu. Marta aber machte sich viel zu schaffen, ihnen zu dienen. Und sie trat hinzu und sprach: Herr, fragst du nicht danach, dass mich meine Schwester lässt allein dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfen soll! Der Herr aber antwortete und sprach zu ihr: Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden“. (Lukas 10,38-42)
Orgelmusik
Es gibt also eine Zeit des Dienens und eine Zeit des Hörens. Wir könnten es auch so sagen: Es gibt eine Zeit der Aktion und eine Zeit der Kontemplation oder so wie es der mönchischen Lebensregel aus dem Mittelalter entsprach: „ora et labora“, beten und arbeiten.
Ich weiß nicht, wo Sie gerade stehen, was Ihnen zur Zeit besonders wichtig ist und am Herzen liegt. Ich weiß nur, jetzt in dieser Stunde von 10-11 Uhr sind wir hier, weit weg von allem Tun und Handeln, von jeglicher Aktion. Wir sind hier, um Gottesdienst zu feiern, um zu hören, zu singen und zu beten.
Beides ist in unserem Leben wichtig: Hören und Tun, Beten und Handeln, alles zu seiner Zeit.
Schauen wir auf die beiden Schwestern, Martha und Maria. Martha erfüllt ihre Rolle als Gastgeberin aufs Beste. Wie es sich gehört. Sie nimmt Jesus in ihr Haus auf, in dem sie zusammen mit ihrer Schwester lebt und sie bewirtet ihn mit Essen und Trinken.
Martha tut das, was auch wir alle tun würden, wenn ein so hoher Gast wie Jesus in unser Haus käme. Die Gastfreundschaft war zur damaligen Zeit sehr groß. Und sie ist es bis heute bei vielen Menschen auch.
Von daher, denke ich, wird die Martha große Sympathie bei vielen von uns genießen.
Und ihre Schwester, Maria? Sie nutzt die Gelegenheit auf ihre Weise, sie setzt sich sofort zu Jesu Füssen und hört ihm zu. Ich kann es mir gut vorstellen, dass sie nicht nur geschwiegen hat, sondern Jesus auch die eine oder andere Frage gestellt hat.
Maria nimmt die Position einer Schülerin gegenüber dem Rabbi, dem Lehrer Jesus, ein. Das war für die damalige Zeit ziemlich ungewöhnlich, dass das eine Frau tat. Nach antikem Verständnis durfte so was nur ein Mann tun.
Zwei Frauen, die das Ihre tun, um Wert und Bedeutung auszudrücken, Und Jesus, der im Gegensatz zu den Anschauungen seiner Zeit Frauen nicht als mindere Geschöpfe ansieht, er lässt sich gefallen, was beide tun. Zunächst.
Doch, nach einer kleinen Weile kommt es zu einer Verstimmung. Martha bittet Jesus, er möge Maria zur Mithilfe im Haushalt auffordern: Sage ihr doch, sie soll auch mit anpacken! Man kann daraus hören, dass Martha ziemlich sauer ist über ihre Schwester.
Bisher hatte sie sich alleine zu schaffen gemacht und dabei offenbar durchaus das Wohlwollen Jesu gefunden, der dankbar gewesen sein wird für die Fürsorge.
Nun aber wird Jesus plötzlich vor die Wahl gestellt, einer der beiden Frauen und damit einer der beiden Tätigkeiten, den größeren Wert zuzusprechen und die größere Anerkennung zu geben.
Ich denke, Martha, wird fest damit gerechnet haben, dass die größere Anerkennung ihr selbst gilt. Aber sie verrechnet sich.
Jesus weiß um ihre Sorge und Mühe, und er weiß dies auch durchaus zu schätzen. Aber nun, im Augenblick, in dem er vor die Wahl gestellt wird, anerkennt er auch das Hören der Maria. Ja, es scheint, als würde er diesem sogar eine größere Bedeutung zuweisen:
„Martha, Martha, du hast viel Sorge und Mühe. Eins ist not: Maria hat das gute Teil erwählt, das soll nicht von ihr genommen werden.“
Das klingt zunächst wie eine Zurechtweisung. Mir scheint das aber eher wie eine befreiende Feststellung; dass die Sorge und Mühe der Martha so sehr die Seele erfassen und besetzen kann, dass kein Raum mehr bleibt für das andere Leben.
Wir brauchen nicht nur Aktivität in unserm Leben, nicht nur Schaffen und Tun, sondern wir brauchen auch Stillesein und Hören und Beten.
Viele empfinden heute geradezu einen Hunger nach mehr Ruhe und Erfüllung, nach Orientierung und Lebenssinn, nach Spiritualität.
Müssen wir uns nun zwischen diesen beiden Frauen entscheiden? Ich denke, nein. Wir müssen gar nicht zeitlebens nur eine Rolle übernehmen. Jesus ruft uns zu: erkenne den Augenblick! Was ist jetzt in deinem Leben dran, notwendig? Was hat jetzt in deinem Leben seine Zeit? Für dich kann es gerade jetzt gut sein, wie Maria sich Zeit zu nehmen, für sich selber, den „inneren Menschen“ zu pflegen, im Hören auf das Wort Gottes, im Stillsein und Beten, im geistlichen Ruhen, in der Meditation...
Oder es kann jetzt für dich gerade was anderes wichtig sein: z.B. einen lange nicht mehr gesehenen Gast zu bewirten und zu verwöhnen oder jemandem zu helfen, der gerade Hilfe braucht.
Beides ist wichtig, jedes zu seiner Zeit. Beides ist Nachfolge Jesu Christi und Verstehen des wichtigsten Gebotes in der Bibel: „Liebe Gott und deinen Nächsten wie dich selbst!“
Interessanterweise steht direkt vor dieser Geschichte im Lukasevangelium das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Sie erinnern sich: Priester und Levit gehen an dem unter die Räuber Gefallenen vorbei, während der Samariter sich um ihn kümmert; ihm die Wunden wäscht und verbindet, ihn in ein Gasthaus bringt und Geld für die weitere Pflege hinterlässt.
Hier wird doch gerade der Samariter gelobt für das, was er tut. Anders als in der Geschichte von Martha und Maria.
Diese beiden Geschichten gehören zusammen, zeigen sie uns doch gerade, was im Augenblick dran ist. Die richtige Zeit muss ich manchmal selber bestimmen. Sie liegt mir nicht immer sonnenklar vor Augen.
Auf dem Weg zum Hören geht der Tempeldiener eilig an dem Verletzten vorbei. Das ist nicht gut und geschieht doch so oder ganz ähnlich sehr oft. Vor lauter Dienen, Sorgen und Mühen können Menschen das Hören versäumen. Das ist auch nicht gut und geschieht auch sehr oft.
Es gibt dennoch keine Reihenfolge von Hören und Dienen, es gibt für beides nur die richtige und die falsche Zeit.
Wir können Jesus nicht auf die Seite ziehen, auf der wir ihn gerade hätten. Wir brauchen es auch gar nicht. Er will mich gebrauchen und dich, uns alle, wie Martha und wie Maria; zum Dienen und zum Hören. Aber alles zur rechten Zeit. Darin liegt unser Wert. Amen.