Jubilate - Johannes 16,16-23A
Liebe Gemeinde!
Welches Ereignis würden Sie als das Wichtigste in Ihrem Leben bezeichnen?
Auf diese Frage haben mir schon viele Menschen geantwortet: „Die Geburt meines Kindes“, oder „Die Geburt unserer Kinder.“
In der Tat ist die Geburt eines Kindes ein einschneidendes Ereignis. Da liegt nach einer Zeit großer Anstrengung ein Neugeborenes auf dem Bauch der völlig erschöpften Mutter, ein Wunder, ein Glück, eine Neuschöpfung, neues Leben, ein Mensch. Totale Freude nach der Angst und den Schmerzen.
Jubilate – Freuet euch!
Jesus vergleicht seinen Abschied von dieser Welt, und seine Wiederkunft mit der Geburt eines neuen Lebens: "Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist. Ihr habt nun Traurigkeit, aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen.“ (Joh.16)
Aus der Traurigkeit und dem Schmerz des Verlustes soll Freude werden, aus dem Abschied ein Wiedersehen, aus dem Ende ein neuer Anfang.
Doch, wie kommt man vom Verlust eines Menschen wieder zur Freude? Vielleicht kann es so sein wie bei einem Abschied, von dem ich einmal gelesen habe: Der Abschied vom Großvater:
Einmal im Jahr muss es sein. Ich räume meine Schreibtischschubladen auf. In der hintersten Ecke einer Schublade finde ich ein zerdrücktes Taschentuch. Ich will es gerade in den Papierkorb werfen, da fällt es mir wieder ein. Da ist doch der Zigarrenstummel drin. Vorsichtig, beinahe ehrfurchtsvoll falte ich das Tuch auseinander, und da liegt der Stummel, schon etwas auseinander geblättert. Meine Gedanken gehen zurück. Es war vor vielen Jahren, als mein Großvater starb. Seine Kinder und wir Enkel waren gekommen - soweit wir es einrichten konnten. Ich war auch da, längst schon erwachsen. Aber ich erinnere mich noch, dass ich mich wie ein Kind an seinem Sterbebett gefühlt habe. In den letzten Stunden fragten wir ihn, was wir ihm noch Gutes tun könnten und ob er sich zum Schluss noch etwas wünsche: Da ging ein kleines schelmisches Lächeln über sein Gesicht: "Eine Zigarre rauchen", flüsterte er. Der Arzt hatte es ihm strikt verboten zu rauchen, und im Krankenzimmer ging das ohnehin nicht. Aber jetzt konnten wir es ihm ja nicht mehr abschlagen und zündeten ihm eine von seinen geliebten Zigarren an. Geraucht hatte er immer, ich kannte ihn nicht anders: Wenn ich zu Besuch bei den Großeltern war, und Opa im Garten arbeitete oder wenn er nach getaner Arbeit hereinkam und sich an den Tisch setzte. Dann hatte er immer eine Zigarre im Mund. Im Wohnzimmer roch es immer nach Zigarrenrauch, auch wenn gelüftet war, und ich weiß, dass sogar die Katze manchmal ein klein wenig von dem Geruch in ihrem Fell hatte. Noch heute ist es so, dass ich an meinen Großvater denke, wenn ich Zigarrenrauch rieche. Großvater war gut zu mir, ich war gerne bei ihm. Ich erinnere mich, wie er mir manchmal über den Kopf strich und mit mir spazieren ging, durch die Felder. Die Zigarre war sein ständiger Begleiter. Oma schimpfte dann oft: "Du sollst nicht so viel rauchen. Das wird dich noch ins Grab bringen." Dann rauchte er eben heimlich und sagte: "Sag aber Oma nichts." Das war Opa. Als Opa gestorben war, wollte die Krankenschwester den Aschenbecher ausleeren. Ich habe ihn ihr aus der Hand genommen und habe den Zigarrenstummel in das Taschentuch gewickelt und mitgenommen. Er ist eine kleine Kostbarkeit - der Stummel - ein allerletzter Gruß von meinem Großvater. Wenn ich ihn so anschaue, dann ist es, als zwinkere mir mein Großvater zu wie früher. In dem Zigarrenstummel ist noch sein Atem - und irgendwie auch all das Schöne, das ich mit ihm erlebt habe. In diesem Zigarrenstummel lebt noch ein Stück unbeschwerter Kindheit.
Ich habe den Zigarrenstummel dann vorsichtig wieder eingewickelt und in eine kleine Schachtel getan. Und wenn mir danach ist, dann nehme ich ihn heraus. Manchmal denke ich dann an den Großvater - an alles, was er mir mitgegeben und geschenkt hat, an all das, was ich in mir trage von ihm. Dann bin ich ein wenig traurig, aber zugleich auch dankbar. Manchmal muss ich dann auch schmunzeln und freue mich an diesem lieben Menschen und seiner verschmitzten Art, die immer dann wieder lebendig wird in meinem Herzen.
„Ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen.“ Es sind die Worte, die der scheidende Jesus zu seinen Jüngern sagt.
Vielleicht ist das so ähnlich wie beim Abschied vom Großvater: Es ist etwas zu Ende, den Menschen, wie er war, muss ich loslassen, das macht mich traurig. Und zugleich empfinde ich auch Dankbarkeit und Freude darüber, ihn gehabt und so viel von ihm geschenkt bekommen zu haben, an Zuwendung und Liebe, an Selbstvertrauen und Lebensklugheit. Im Ende, im Abschied wohnt auch Freude und Dankbarkeit, die mich froh macht. Und ein Mensch bleibt lebendig in meiner Erinnerung. Ich kann ihn „wiedersehen“, ihm begegnen in allen Bildern und Erlebnissen, die ich in mir trage. Auch in dem, was ich tue, in den Fertigkeiten, die ich von ihm habe, was ich in seinem Sinne mache. Überall da ist auch der verstorbene Mensch präsent – anders als zuvor – gewiss, nicht so unmittelbar als Person, aber er ist da, ist lebendig und erfreut mein Herz.
Die Jüngerinnen und Jünger haben Jesus wieder gesehen. Er ist auferstanden und ihnen begegnet. Wie das genau zugegangen ist, das ist schwer zu sagen. Aber was seinen Jüngern geblieben ist, ist die tiefe Freude darüber. Tiefe Freude, die ihre Seele erfüllt und die Gewissheit, es gibt einen Weg, der weiter führt, als wir verstehen können. Es gibt eine Liebe, die größer ist, als wir ermessen können. Seitdem wird diese Freude weitergegeben und wachgehalten, auch von uns. Seitdem leben wir mit der starken Hoffnung, dass am Ende der Geschichte Gottes mit den Menschen das Leben und die Freude stehen wird. Darum Jubilate – Freuet euch! Amen